Die deutsche Rentenpolitik steht an einem echten Wendepunkt. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche fordert, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre zu erhöhen, um das überforderte Rentensystem zu retten.
Während die Babyboomer-Generation von stabilen Zeiten profitierte, stehen sie heute vor den Folgen des demografischen Wandels.

Die Diskussion um die „Rente mit 70“ reißt Deutschland ziemlich auseinander. Über 100 Milliarden Euro fließen schon jetzt aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkassen, während die Babyboomer in Scharen in Rente gehen.
Die SPD lehnt eine Erhöhung des Renteneintrittsalters strikt ab und nennt das Ganze eine „Rentenkürzung durch die Hintertür“.
Hier tauchen große Fragen auf: Ist es wirklich gerecht, dass eine Generation von den guten Zeiten profitiert und die nächste Generation die Rechnung zahlt?
In diesem Artikel schauen wir uns an, welche Reformideen im Raum stehen, was eine Rente mit 70 sozial bedeuten würde und wie die Generationen bei dieser hitzigen Frage ticken.
Rente mit 70 – Die Debatte um das Renteneintrittsalter

Die Debatte um die Rente mit 70 sorgt für ordentlich Streit. Politiker und Ökonomen wollen das Renteneintrittsalter erhöhen, aber viele Arbeitnehmer wehren sich gegen längere Arbeitsjahre.
Der demografische Wandel und die steigende Lebenserwartung stehen dabei im Mittelpunkt.
Hintergrund: Warum die Diskussion jetzt aktuell ist
Deutschland steckt mitten in einem demografischen Dilemma. Die Menschen werden älter, aber es kommen weniger Kinder nach.
Immer weniger Beitragszahler müssen die Renten einer wachsenden Zahl von Rentnern stemmen.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) bringt es auf den Punkt: Es kann „nicht gut gehen“, wenn Deutsche nur zwei Drittel ihres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen.
Die Regelaltersgrenze steigt bis 2029 auf 67 Jahre, das ist schon beschlossen.
Viele Experten halten das aber längst nicht für ausreichend. Die gesetzliche Rente steht unter Druck, weil die Finanzierungslücke immer größer wird.
Bundeskanzler Friedrich Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprechen sich für eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters aus.
Die Lebenserwartung in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten immer weiter gestiegen. Manche Experten finden, das Rentenalter müsse da einfach mitziehen.
Argumente für eine Anhebung auf 70 Jahre
Wer die Rente mit 70 befürwortet, bringt einige Argumente ins Spiel.
Finanzielle Entlastung: Wer länger arbeitet, bekommt kürzer Rente und zahlt länger ein. Das entlastet das System spürbar.
Demografischer Wandel: Weil die Lebenserwartung steigt, können und sollten Menschen länger arbeiten. Die meisten bleiben heute viel länger fit als früher.
Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands könnte durch mehr Arbeitsjahre wachsen. Mehr Beschäftigte bringen mehr Produktivität und Steuereinnahmen.
Internationale Vorbilder gibt es auch: Dänemark führt die Rente mit 70 schrittweise ein und will das Modell bis 2040 komplett umsetzen.
Gegenargumente und Kritikpunkte
Die Kritik an der Rente mit 70 ist nicht zu überhören.
Körperlich harte Jobs sind das größte Problem. Handwerker, Pflegekräfte oder Bauarbeiter schaffen es oft einfach nicht bis 70. Ihre Gesundheit leidet nach Jahrzehnten schwerer Arbeit.
Soziale Gerechtigkeit steht auf dem Spiel. Viele Babyboomer fühlen sich jetzt schon benachteiligt, weil sie Rentenkürzungen erleben mussten.
Viele ältere Arbeitnehmer kämpfen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Nicht jeder hält bis 70 durch, auch nicht im Büro. Mit dem Alter wächst die Belastung.
Die politische Mehrheit fehlt aktuell. Die Regierung setzt eher auf flexible Übergänge und freiwilliges Weiterarbeiten statt auf eine starre Anhebung auf 70.
Wie andere Länder mit steigender Lebenserwartung umgehen
Andere Länder haben schon Reformen beschlossen oder sind dabei.
Dänemark führt die Rente mit 70 nach und nach ein. Ab 2040 ist das dort Standard. Das Rentenalter hängt direkt an der Lebenserwartung.
Frankreich hat das Rentenalter von 62 auf 64 Jahre erhöht – das führte zu monatelangen Protesten. Noch eine Erhöhung ist geplant.
Deutschland setzt derzeit auf die „Aktivrente“. Wer will, kann nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters weiterarbeiten und dazuverdienen.
Die Niederlande haben das Rentenalter schon auf 67 Jahre hochgesetzt und denken über weitere Schritte nach. Flexible Übergänge sollen für mehr Akzeptanz sorgen.
Schweden hat ein flexibles System – dort gehen Menschen zwischen 62 und 68 in Rente. Die Rentenhöhe passt sich an das Eintrittsalter an.
Babyboomer-Generation: Das geborgene Erbe und die Folgen für das Rentensystem

Die geburtenstarken Jahrgänge von 1954 bis 1969 machen dem deutschen Rentensystem gewaltig zu schaffen. Fast 20 Millionen Menschen erreichen bis 2036 das Rentenalter, während viel weniger Junge nachrücken.
Die Rolle der geburtenstarken Jahrgänge im demografischen Wandel
Die Babyboomer-Generation zählt etwa 19,5 Millionen Menschen, geboren zwischen 1954 und 1969. 1964 kamen 1,4 Millionen Babys zur Welt – Rekord in Deutschland.
Danach ging’s rapide bergab mit den Geburten. Ende der 60er kam der „Pillenknick“, und die Zahlen blieben niedrig.
Schon 2022 hatten rund 3,1 Millionen Babyboomer das Rentenalter erreicht. Bis 2036 folgen die restlichen 16,5 Millionen. Ihnen stehen gerade mal 12,5 Millionen junge Menschen gegenüber, die ins Berufsleben starten.
Die Folgen sind heftig: 2022 kamen noch 51 Junge und Alte auf 100 Erwerbsfähige, 2040 werden es schon 63 sein.
Auswirkungen der Babyboomer auf die Rentenfinanzierung
Das deutsche Umlageverfahren gerät durch die Babyboomer extrem unter Druck. Die heutigen Beitragszahler finanzieren direkt die Rente der aktuellen Ruheständler.
Der Altenquotient steigt von 29,5 (2022) auf 41,1 (2040). Immer weniger Erwerbstätige tragen immer mehr Rentner. 2023 ist die Zahl der neuen Altersrentner schon um fast neun Prozent gestiegen.
Finanzierungslücken werden zwangsläufig größer:
- Weniger Beitragszahler, aber gleichbleibende oder steigende Ausgaben
- Längere Lebenserwartung verlängert die Rentenbezugsdauer
- Bessere Erwerbsbiografien der Babyboomer erhöhen die Ansprüche
Die Politik steht vor der Wahl: Beiträge erhöhen, Leistungen kürzen oder das Rentenalter weiter nach oben schrauben.
Generationenvertrag auf dem Prüfstand
Der Generationenvertrag klappt nur, wenn genug Junge die Älteren finanzieren. Diese Balance stimmt bei den Babyboomern einfach nicht mehr.
Viele Babyboomer nutzen schon jetzt die Möglichkeit zur Frühverrentung. Langjährig Versicherte gehen oft schon mit 63 ohne Abschläge. Das macht die Lage für die Kassen noch schwieriger.
Reformvorschläge gibt es viele:
- Renteneintrittsalter auf 68 oder 70 Jahre erhöhen
- Mehr private Altersvorsorge
- Höhere Erwerbsquote durch längeres Arbeiten
Die Zeit drängt. Der Höhepunkt der Babyboomer-Rente kommt in den nächsten sieben Jahren. Wer jetzt nicht handelt, macht’s für die nächste Generation nur noch härter.
Lösungsansätze für eine nachhaltige Rente
Neben der umstrittenen Rente mit 70 werden viele andere Reformideen diskutiert. Sie reichen von flexiblen Übergängen über Sonderabgaben bis zu großen Finanzierungsreformen.
Flexiblere Übergänge: Teilrente, Aktivrente & betriebliche Altersvorsorge
Die Teilrente erlaubt es, schon ab 63 schrittweise in den Ruhestand zu starten. Man kann Teilrente beziehen und weiterarbeiten. Jeder zusätzliche Arbeitsmonat erhöht die spätere Vollrente um 0,5 Prozent.
Die geplante Aktivrente soll Anreize für längeres Arbeiten schaffen. Wer will, könnte monatlich bis zu 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen. Das macht rund 24.000 Euro brutto im Jahr.
Betriebliche Altersvorsorge sieht die Arbeitgeberseite als wichtigen Baustein. Gewerkschaften fordern bessere Bedingungen für Geringverdiener. Die SPD will diese Säule mit staatlicher Förderung stärken.
Vorteile flexibler Modelle:
- Individuelle Anpassung an die eigene Lebenslage
- Weniger Rentenverluste bei frühem Ausstieg
- Höhere Gesamtrente durch längeres Einzahlen
Sonderabgaben und der Boomer-Soli
Der „Boomer-Soli“ soll Gutverdienende aus den geburtenstarken Jahrgängen (1955-1970) zusätzlich belasten.
Vermutlich greift diese Sonderabgabe ab einem bestimmten Einkommen und soll die Rentenkassen stützen.
Sozialpolitiker meinen, dass diese Generation besonders vom wirtschaftlichen Wachstum profitiert hat.
Sie finden, eine faire Lastenverteilung ist gerechtfertigt.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht das skeptisch und warnt vor noch mehr Belastungen für ohnehin stark besteuerte Gruppen.
Selbstständige könnten bald stärker in die Rentenpflicht einbezogen werden.
Momentan zahlen viele Selbstständige keine Rentenbeiträge und könnten das System später über die Grundsicherung belasten.
Reformen: Finanzierung, Beitragszahler & Alternativen zur Rente mit 70
Erweiterte Beitragszahler: Wenn Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rente einbezogen werden, verbreitert das die Finanzierungsbasis.
Mehr Erwerbstätige würden dann Rentenbeiträge zahlen.
Steuerfinanzierung: Der Bund könnte einen größeren Teil der Rente übernehmen.
Das würde die Rentenbeiträge stabilisieren, aber die Steuerzahler stärker fordern.
Alternative Ansätze:
- Renteneintritt ans steigende Lebensalter koppeln
- Flexible Jahresarbeitszeit für Ältere einführen
- Pflegezeiten besser anrechnen
Die SPD setzt eher auf eine Mischung aus höheren Steuerzuschüssen und moderaten Beitragserhöhungen.
Gewerkschaften stellen sich gegen harte Einschnitte und wollen bessere Arbeitsbedingungen für längeres Arbeiten.
Soziale und berufliche Auswirkungen der Rente mit 70
Die Rente mit 70 würde die Arbeitswelt ziemlich auf den Kopf stellen.
Verschiedene Berufsgruppen wären unterschiedlich betroffen.
Fachkräftemangel könnte älteren Erwerbstätigen neue Chancen eröffnen, aber es bleiben Fragen zur Generationengerechtigkeit offen.
Branchenunterschiede: Wer kann tatsächlich länger arbeiten?
Wie lange Sie arbeiten können, hängt vor allem von Ihrer körperlichen Belastung am Arbeitsplatz ab.
Bürotätige haben es da deutlich leichter als Menschen in körperlich anstrengenden Jobs.
Besonders hart trifft es diese Bereiche:
- Baugewerbe: Dachdecker, Maurer, Gerüstbauer
- Gesundheitswesen: Pflegekräfte, Altenpfleger
- Logistik: Paketboten, Lagerarbeiter
- Einzelhandel: Kassierer, Verkaufspersonal
Viele Erwerbstätige in diesen Berufen kämpfen schon jetzt mit körperlichen Beschwerden.
Gewerkschaften warnen davor, dass eine Rente mit 70 für viele eine „Rentenkürzung durch die Hintertür“ bedeutet.
Im Gegensatz dazu lassen sich 75 Prozent aller Berufe auch mit 70 noch ausüben.
Das betrifft vor allem Büroarbeiten, Beratung und Führungspositionen.
Die Lebenserwartung hängt übrigens stark vom Beruf ab.
Arbeiter leben im Schnitt vier Jahre kürzer als Beamte.
Bei niedrigeren Einkommen sinkt die Lebenserwartung sogar um fünf Jahre.
Fachkräftemangel und Chancen für ältere Erwerbstätige
Der aktuelle Fachkräftemangel eröffnet älteren Erwerbstätigen neue Möglichkeiten.
Arbeitgeberverbände erkennen mittlerweile den Wert erfahrener Mitarbeiter.
Ihre Vorteile als älterer Arbeitnehmer:
- Viel Berufserfahrung
- Hohe Zuverlässigkeit und Arbeitsmoral
- Gute Problemlösungskompetenz
- Weniger Fehlzeiten bei Bürojobs
Ältere Arbeitnehmer machen zwar manchmal mehr Fehler, aber meistens sind diese weniger gravierend als bei jüngeren Kollegen.
Wer im Job geistig gefordert bleibt, hält seine mentale Leistungsfähigkeit oft länger.
Allerdings müssen sich Arbeitsplätze stärker an die Bedürfnisse älterer Menschen anpassen.
Flexible Arbeitsmodelle wie Teilzeit, Homeoffice oder projektbasierte Arbeit werden wichtiger.
Das alte Modell „Bildung-Arbeit-Rente“ verliert an Bedeutung.
Immer mehr Menschen setzen auf flexiblere Lebensläufe mit Auszeiten oder Berufswechseln.
Die Sozialpolitik steht vor der Aufgabe, altersgerechte Arbeitsplätze zu fördern und dabei körperlich belastende Tätigkeiten nicht zu vergessen.
Gerechtigkeit zwischen den Generationen
Die Debatte um die Rente mit 70 heizt den Generationenkonflikt ordentlich an. Wenn Sie jünger sind und arbeiten, könnte es sein, dass Sie später in Rente gehen müssen, während frühere Generationen schon mit 63 oder 65 aufhören konnten.
Aktuelle Belastungsverteilung:
- 1950: 6 Erwerbstätige pro Rentner
- 2025: 3 Erwerbstätige pro Rentner
- 2050: vermutlich 2 Erwerbstätige pro Rentner
Bis 2036 erreichen rund 13 Millionen Babyboomer das Rentenalter. Das ist fast ein Drittel der heutigen Erwerbstätigen. Diese Generation hatte oft bessere wirtschaftliche Bedingungen und konnte früher in Rente gehen.
Umfragen zeigen, dass 70 Prozent der 18- bis 39-Jährigen lieber höhere Rentenbeiträge zahlen würden, als das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Gewerkschaften unterstützen diese Meinung und setzen sich für andere Finanzierungswege ein.
Eine Bürgerversicherung nach österreichischem Vorbild könnte helfen, die Last gerechter zu verteilen. Hier würden auch Selbstständige und Beamte einzahlen. Außerdem könnten mehr Produktivität und eine stärkere Einbindung von Frauen und Migranten auf dem Arbeitsmarkt das System stabilisieren, ohne das Rentenalter anzuheben.




